Archiv des Autors: Gerhard Pierer

12. Tag Samstag, 13. Mai 2017 Les Sétoux nach Tence 

Die Nächtigung im ehemaligen Zisterzienzerkloster hat inklusive der Zubringerdienste bestens geklappt. Ein französisches Paar erzählt, dass es den Jakobsweg vor 30 Jahren mit dem Fahrrad gemacht hat. Damals waren da nur Ruinen. Auch die Häuser des nahe gelegenen Weilers sind wiederhergestellt worden.

In Les Sétoux gibt es an mehreren Stellen Skulpturen zum Thema Jakobsweg, wie hier vor der Kapelle des Ortes.

Nach kurzem Wandern über Weiden führt der gut ausgebaute Weg in den wahrhaft dunklen Tann. Tannen sind die wichtigsten Bäume in diesem Wald. Ich bewege mich hier immer in einer Seehöhe von ca. 1000 m.

Wer kommt denn da so früh daher, denken sich die beiden vielleicht.

Hochtäler wie in einem Western durchziehen die Gegend. Auch in der Weststeiermark könnte die Landschaft liegen.

Ich überqueren eine massive Brücke,  bevor es auf der andere Seite wieder über 1000 m hinaufgeht.

Durch die Höhenlage ist die Vegetation weit zurück. Einige Blumen sind nicht zu übersehen. Die Stiefmütterchen gibt es sogar in zwei Varianten.

Für diese Bachübergang sollte man etwas balancieren können. Einzige Alternative wäre Schuhe ausziehen und durch das Wasser!

Am Weg stehen immer wieder steinerne Kreuze, die oft Jahreszahlen vom dem Ende des 19. Jahrhunderts tragen. Marterln oder kleine Kapellen habe ich keine gesehen.

Bei Kilometer 12 beginnt es wieder zu regnen. Zuerst habe ich noch die Hoffnung, dass es beim Nieseln bleibt, aber dann wird es doch mehr. Den Rindern wird es auch schon zuviel, die wollen heim.

In Montfaucon-en-Velay besuche ich die Capelle-Notre-Dame, die wie viele alte Gebäude aus schweren Steinquadern errichtet ist.

Sie beherbergt eine außergewöhnliche Sammlung von zwölf Monatsbildern zu Stellen aus der  Bibel und wurden im 17. Jhdt. von einem flämischen Meister geschaffen.

In einem nahegelegenen Restaurant möchte ich mich einmal stärken und trocknen. Die kleine aber feine Speisekarte verheißt nur Gutes zu sehr moderaten Preisen. Zwei durchnässte Motorradfahrer sind schon da. Später kommen noch drei Radwanderer, die sogar im Lokal ihre eigene Jause auspacken dürfen.

Ich will mich schon regenmäßig anziehen, da endet der Regen wieder. Auf den Wegen stehen zeitweise große Pfützen, die schon auch zehn Zentimeter tief sein können.

Fliegenfischer versuchen ihr Glück am Le Lignon.

La Papeterie, ein riesiges Ferienhaus und auch Pilgerherberge, war einst eine Papierfabrik der Familie Montgolfière, die erste Frankreichs.

Auf einem Hügel liegt die kleine Stadt Tence mit ihrem  breiten Hauptplatz, wo auch ich logiere.

Gleich drei Kirchen hat der Ort aufzuweisen.

Bin ich in Schottland gelandet? Sogar der Fluss hat eine braune Färbung.

Die Abendstimmung und der Wetterbericht versprechen für morgen Besserung.

Tagesstrecke: 29,3 km

11. Tag Freitag, 12. Mai 2017 Saint-Julien-Molin-Molette nach Les Setoux

In der Nacht ist es zeitweise sternklar. Der Mond strahlt herein, dass ich vorerst an eine Straßenlaterne denke. Gegen Morgen höre ich das vertraute Regengeräusch. Gegen halb sieben bin bereit zum Abmarsch. Saint-Julien-Molin-Molette liegt noch in Ruhe, da rührt sich noch nichts.

Vorerst ist es trocken und es geht auf den nächsten Berg hinauf vorbei an Bauernhöfen und Viehweiden.

Am Col du Banchet holt mich der Regen ein. Es ist nicht arg, aber zu viel, um nur mit leichter Jacke zu gehen.

Der nächste Kilometer führt wieder steinig bergab bis  Bourg-Argental vor mir liegt.

Die ersten verschlafenen Schüler kommen mir entgegen. Zwei schauen noch so zerstört, dass ich mir denke: Gut, dass ich die beiden nicht in der ersten Stunde unterrichten muss. Es ist halt erst acht Uhr.

Ich finde ein offenes Café, hole mir aus der Bäckerei nebenan mein Gebäck und genieße einen starken, doppelten Espresso in der Hoffnung, dass es aufhört zu regnen. Das Radarbild des Wetterdienstes zeigt ja nur einzelne kleine Regenzellen.

Ich besuche die Kirche mit einer schwarzen Madonna und werde wieder von schöner Musik empfangen.

Gleich nach dem Ortsausgang geht es richtig, bergauf! In diesem Bauernhof ist eine Gitê d’étape eingerichtet.

Der Regen hört auf und mystische Nebelschwaden ziehen durch das Tal.

Plötzlich zeigen sich blaue Flecken am Himmel und die Sonne leuchtet auf die Wiesen.

Der Wanderweg führt nun auf einer ehemaligen Eisenbahntrasse und ist daher bequem und nicht sehr steil. Ich hole Neves, eine Italienerin, ein, die in Deutschland lebt. Sie hat sich trotz Erfahrung im Berggehen einen Fuß überbelastet und geht sehr schwer. Eine Zeitlang gehe ich mit ihr und ich werde ihr die Reservierung für die Nächtigung bei meiner Ankunft erledigen. Dann gehe ich mein Tempo weiter.

Sogar ein Bahnhofshäuschen existiert noch. Aus dem Bahnhofsplatz sind ein Spielplatz und eine Pferdekoppel geworden.

Tief unter der Trasse liegt Saint-Sauveur-en-Rue mit seiner gewaltigen Kirche. Leider liegt der Ort für die heutige Tagesetappe zu weit abseits.

Auf einer Höhe von 1000 m blühen Geraldine – Kirschbäume. Dort verläuft auch die Grenze von Rhône-Alpes in die Auvergne.

Ein Weg führt zu einer tiefen Schlucht, der ich mich nur zögerlich nähere.

Noch ist nicht die höchste Stelle erreicht.

Vor mir muss es stark geregnet haben, denn immer noch rinnt Wasser die Wege entlang.  Durch den dichten Tann sieht man nur ein kleines Stück Himmel, aber ich höre immer andauernden Donner. In der Schweiz würde ich es vielleicht als Feldschießen mit schwerem Gerät abtun. Hier weiß ich, dass es das angesagte Gewitter sein könnte.

Ich beeile mich, da es nicht mehr weit bis zu meinem Ziel Le Setoux sein kann. Kaum bin ich aus dem Wald, sehe ich die Wolken besser.

Trocken komme ich in der Herberge an und erfahre, dass wir mit dem Auto in das benachbarte Clavas gebracht werden. Dort ist in einem ehemaligen Kloster eine nette Herberge eingerichtet. Zum Essen werden wir wieder zurückgebracht.

Ich stehe noch nicht unter der heißen Dusche, als ein Regenguss gegen das Fenster prasselt. Da hat der Jakob wieder aufgepasst!

Neves ist mit einiger Verspätung angekommen. Ihr Fuß schaut nicht gerade gut aus.

Tagesstrecke: 25 km

10. Tag Donnerstag, 11.Mai 2017 Clonas-sur-Varèze nach Saint-Julien-Molin-Molette

Die Unterkunft war günstig und sicher besser als eine ungeheizte Herberge. Obwohl ich keine anderen Pilger wahrnehme,  gibt es wenig freie Unterkünfte, auch wenn man den Preis nicht als erstes Kriterium nimmt.

In der Nacht hat es kaum geregnet, der Wetterbericht gibt ab 14 Uhr hohe Wahrscheinlichkeit von Regen an. Ich versuche in diesem Zeitrahmen möglichst weit zu kommen. Der Wind ist nach wie vor stark, aber vielleicht ist das so wie bei der Donau in Melk.

Auffallend sind die beiden Kernkraftwerke  bei St. Alban. Die Druckwasserreaktoren älterer Bauart sind schon öfters wegen Zwischenfällen ins Gerede gekommen.

Unübersehbar, dass ich wieder in eine Weingegend komme.

Die Rhône ist seit dem letzten Zusammentreffen gewaltig gewachsen. Auf der Rhône verläuft auch die Grenze zwischen den Departements Isère und Loire.

Der Ort Cavanay liegt etwas über dem Rhônetal.

Ein altes, fast herrschaftliches Schulhaus.

In der Kirche gibt es das Zunftzeichen der Schiffer und natürlich auch Jakobus.

Es beginnt leicht zu tröpfeln, Regenzeug raus und zum Abschied noch ein schöner Blumengruß.

Gleich nach dem Ort beginnen die ersten Anstiege. Ich glaube, dass die Leute, die die Jakobswege festlegen, die Route so wählen, dass der durchschnittliche Pilger spätestens in Le Puy-en-Velay seine Sünden abgebüßt hat. Ab dort ist er dann im Plus. Schwerenöter brauchen dann bis Santiago, um in die schwarzen Zahlen zu kommen, für manche Politiker und „Spezialisten“ reicht auch Finistère nicht aus. Die sollten von dort aus weiter westwärts gehen.

Von oben habe ich einen großartigen Ausblick bis zu den Alpen.

Hoch über dem Tal liegen viele kleine Weiler. Hier wird Wein-und Obstbau betrieben.

An einem Bach steht diese alte Industrieruine.

Ich muss entlang eines Grabens wandern, der fast urwaldähnlichen Charakter hat.

Weinbau und Rosen gehören auch hier zusammen.

Knapp vor der höchsten Stelle des heutigen Weges steht der Kilometerstein da. Ich glaube nicht an die Angaben, aber man wollte das Monument an prominenter Stelle präsentieren.

Ich kehre noch in der Gîte d’etape Sainte Blandine ein, die von vielen Franzosen belegt ist, und werde auf ein Gläschen Bier eingeladen.

Dann beeile ich mich, denn leichtes Nieseln ist immer wieder zu spüren. Zum Glück zu wenig für das Regenzeug.

Ein kurzer Blick zurück auf das Gipfelkreuz und dann geht’s ins Tal nur 100 m tiefer.

Ich komme nach Saint-Julien-Molin-Molette, ein größerer Ort, der früher gut von der Textilindustrie gelebt hat.

Ich habe nur auf dem Campingplatz ein Quartier bekommem und beziehe hier einen geräumigen, gut beheizten Wohnwagen. Ich bringe gerade noch die Wäsche zum Waschen, als der angesagte Regen hereinbricht.

Dann schüttet es zwei Stunden lang und Punkt 17 Uhr macht Petrus vorerst Schluss. Ich genieße das Prasseln auf dem Dach und falle bald in einen tiefen Schlaf.

Dann mache ich mich auf den Weg nach einem Abendessen. Der Ort ist wie ausgestorben.

Ich finde eine Pizzeria, die gerade geöffnet hat. Hier findet am Abend Boef Music, eine Art Jam Session, statt.

Tagesstrecke: 27 km

9. Tag Mittwoch, 10.Mai 2017 Revel-Tourdan nach Clonas-sur-Varèze 

Gestern habe ich die 200 km – Grenze meiner Wanderung überschritten und es fast übersehen. Wie anders war meine Aufregung, als ich auf dem Camino Frances bei Nájera das zum ersten Mal erleben konnte. Es ist aber auch schön, sich daran zurückerinnern zu dürfen. Ich sehe den Markierungspfahl heute noch vor mir.

Heute hat mich strahlendes Wetter aufgeweckt. Die Fernsicht war nicht besonders, dafür hat das Wetter gehalten. Nach einem guten Frühstück bin ich schon um 8.15 aus dem Haus. Meine Quartiergeber machen zur Erinnerung mit jedem Gast ein Abschiedsfoto in der Hoffnung auf ein Wiedersehen.

Die Straßen um das Haus sind eine einzige Baustelle. Heuer Wasser, nächstes Jahr Strom und übernächstes Jahr ein neuer Straßenbelag. Kommt das bekannt vor?

Gleich nach dem Dorf geht’s bergauf und lange dem Hügel entlang. Von diesem Weiher fliegen zwei Reiher auf – die Frösche können beruhigt weiter quaken.

Wieder lacht mich eine Orchidee an.

Die ersten Kirschen werden rot, wer kann da schon vorbeigehen.

In Moissieu-sur-Dolon weiche ich vom Jakobsweg ab, um im Ort nach einem „Gschäfterl“ zu suchen. Es gibt eine verschlossene Kirche und einen tollen Ausblick. Wäre es etwas klarer, könnte man die schneebedeckten Gipfel der Alpen bei Grenoble sehen.

Hier führt die TGV – Linie Paris – Marseille vorbei. Leider verpasse ich einen durchfahrenden Zug nur knapp.

Manchmal helfen ein paar Steine beim Überqueren eines Bächleins.

Hoch auf einem Hügel liegt die Chapelle-de-Surieu mit einem kleinen Friedhof rundum.

Ein Schmetterling hat sich zu einem kurzen Posing eingefunden.

Da bin ich nicht ganz richtig ausgestattet.

Eichen- und Kastanienbäume bilden nette Alleen.

Die Robinien verströmen schon ihren süßen Duft.

Beim Carmel Notre-Dame-de-Surieu mache ich eine kurze Rast in der romanischen Kirche.

In einem Obstgarten versuchen die Obstbauern mit unterschiedlichen Mitteln gegen den drohenden Frost vorzugehen.

Die Nektarinen haben schon Farbe.


Ich überquere die A7, auf der viel Verkehr ist.

Kurz vor dem Ziel wird der Wind immer heftiger, sodass ich die Stöcke in der Ebene zum Schieben einsetzen muss.

Die Gemeindeverwaltung in Clonas-sur-Varèze ist in einem typischen Steinhaus untergebracht.

Schön in römischer Zeit hat man diesen Standort genossen. Ein reicher Römer hat sich seine ansehnliche Villa hierher gestellt. Im Museum ist ein riesiges Mosaik zu bestaunen.

Tagesstrecke: 32 km

8. Tag Dienstag, 9. Mai 2017, Côte-Saint-Andrè  nach Revel-Tourdan 

Nachdem ich gestern wieder eine längere Strecke als beabsichtigt hinter mich gebracht habe, gibt es heute eine kürzere zum Ausgleich. Der Nachteil beim Pilgern ist, dass man auf freie (!) Quartiere möglichst nahe der Route angewiesen ist. Mit dem PKW oder auch mit dem Fahrrad sind fünf Kilometer kein Problem, beim Wandern mehr als eine Stunde Gehzeit zusätzlich. Bekommt man im gewünschten Bereich, bei mir zwischen 23 und 27 km, nichts, dann ist man sehr früh am Ziel und steht vor noch  verschlossenen Toren oder man kommt einer Überlastung nahe.

Meine Erfahrung: ob 20 km oder 36, die letzten drei Kilometer sind die längsten!

Heute habe ich einen leichten Tag vor mir. Ich lasse mir Zeit und mache für acht Uhr das Frühstück aus. Ich bin da, der Padrón nicht. Mit zwanzigminutiger Verspätung kommt er dann und entschuldigt sich vielmals. Ich bekomme rasch mein Frühstück und beim Preis lässt er noch was nach.

In La Côte Saint André lebte und wirkte der holländische Maler Johan Barthold Jongkind, der als einer der Begründer des Impressionismus gilt.

Was ist wohl hinter diese Mauer, die am Ende noch ein Tor hat?

Eigentlich nur ein großes Feld!

Im nächsten Ort Balbin – Ornacieux fällt mir die große, alte Dorfschule auf, die tatsächlich noch ihrem ursprünglichen Verwendungszweck dient.

Der Ausblick über das Tal des l’Oron ist durch die dichten Wolken beeinträchtigt.

An diesem Rosenstock konnte ich einfach nicht vorbeigehen, ohne zu fotografieren.

Das ist des Pilgers liebster Begleiter: Ein zarter Schatten, ohne scharfe Konturen, mal hinten, mal vorne oder an der Seite.

Nahe einer ehemaligen Mühle fällt mir dieser Entspannungsplatz auf. Nur zu rasch aufwachen sollte man nicht!

Wieder haben die Markierer des Jakobswegs eine Extraschleife gelegt. Ich getraue mich nicht, eine Abkürzung zu nehmen, und habe gut daran getan.

Ich glaube,  hier wächst „Steinmais“. Auf anderen Feldern ist die Bodenbeschaffenheit noch schlimmer.

In Faramans finde ich einen Markt mit genau einem Obststand und einem Käsestand.

Die Auswahl ist grandios und grausam zugleich. Am liebsten würde ich den halben Stand kaufen, doch die Vernunft rät mir zu einem reifen Käse von der Ziege (ganz links) . Eine halbe Stunde später auf dem Kirchplatz von Pommier-de-Beaurepaire wird er bereits seiner Bestimmung zugeführt.

Kastanienbäume haben eine Lebenskraft, die beeindruckend ist. Irgendeine Stelle treibt immer aus.

Früher als erwartet bin ich an meinem Ziel in Revel-Tourdan, einem Ort mit viel alter Bausubstanz.

Im Gelände der alten Burg aus dem 13. Jhdt. treffe ich einen Franzosen, der mit zwei Hunden und einem Schiebewagen am Jakobsweg unterwegs ist.

Auffällig sind immer die Waschanlagen für die Gemeinschaft, die hier besonders gut renoviert sind. Wenn die neue Wasserleitung fertig ist, fließt hier wieder Wasser.

In der renovierten Kirche sorgen neue Buntglasfenster für angenehme Beleuchtung.

Schließlich komme ich bei meiner Unterkunft an und bewundere gleich den Eingang und den Ausblick aus dem obersten Geschoß.

Das Gebäude stammt aus der Zeit um 1669.

Und noch eine Bemerkung: Heute war der erste Tag ohne einen Tropfen Regen!

Tagesstrecke: 22,6 km

7. Tag Montag, 8. Mai 2017 Valencogne nach Le Côte-Saint-Andrè 

In der Nacht fällt immer wieder Regen. Die Hausfrau holt mich zum Frühstück in ihr Haus wo mich ein umfangreiches Frühstück erwartet. Sie macht das Zimmervermieten an Pilger auf Spendenbasis. Da ich jetzt schon einige Unterkünfte hinter mir habe, weiß ich, wie ihre Leistung einzustufen ist. Für die nächste Nacht hat sich eine Deutsche angesagt.

Nach dem Frühstück gibt es noch einen eigenen Pilgerstempel und die Hausfrau begleitet mich zum Gartentor, um mich zu verabschieden.

Im Moment des Aufbruchs nieselt es leicht. Die Landschaft ist gespenstisch in  Nebel getaucht.

Bei manch altem Baum könnte man schon Geister vorbeihuschen sehen.

Auf einer Anhöhe blüht noch viel Ginster. Kurze Zeit später übersehe ich eine Abkürzung, was mir einen kleinen Umweg einbringt. Dank  GPS ist der Irrtum bald erkannt.

Jetzt gehe ich durch recht junge Edelkastanienwälder. Alte Bäume fehlen völlig. Da sie erst im Austreiben sind, wirkt der Wald nicht sehr dicht.

Durch die nächtlichen Regenfälle sind die Wege oft lehmig und rutschig.

Ich bin hier vorerst völlig allein. Nur die Vögel singen aus allen Ecken und Enden und ein Hase nimmt Reißaus, als ich ihm in die Quere komme.

Nach etwa eineinviertel Stunden überholen mich drei Mountainbiker, das erste Auto kommt mir erst im nächsten größeren Ort unter.

In der Nacht noch ein Flusslauf, am Vormittag schon Pfad für Pilger und Biker.

Der erste größere Ort ist Le Pine. Zuvor habe ich einen zweiten „Abkürzer“ ausbessern müssen. Die Route des Jakobswegs ist in den Bereich des Lac Balatru verlegt worden. Ich möchte mir aber die Steckenverlängerung ersparen und gehe den „verbotenen“ Weg, der kurz nach der Abzweigung noch markiert ist.

In Le Pine weht ein kalter Wind, ich hole mir gleich eine andere Jacke aus dem Rucksack. In der Kirche finde ich keinen Stempel. Ersatz gibt es im kleinen Laden, der auch heute am Feiertag geöffnet hat. Am 8. Mai wird an das Ende des 2. Weltkrieges mit einem nationalen Feiertag gedacht.

Eine Gruppe Reiter macht sich gerade auf den Weg.

Mitten durch die Gegend….

In einem Hochtal findet eine Rinderherde ausreichend Futter.

Ante portas Romae? 🙂

In Le Grand-Lemps mache ich Mittagspause. Das „Heldendenkmal“ auf dem Friedhof spricht für sich.

Die Straßen und die Markthalle sind leer. Ich finde gerade noch ein offenes Cafe, wo ich ein Bier trinke und meine mitgebrachte Banane esse.

Diese hübsche Fassade hätte ich fast übersehen.

In La Frette ist die Kirche (wie fast überall) geschlossen. Zwei Überraschungen am Wegrand gibt es trotzdem.

Ab Kilometer 30 wird es eher beschwerlich. Statt des nächsten prachtvollen Ausblicks sehnt man das Ende der Etappe herbei. Aber noch ist es nicht soweit. Ein Denkmal für den Jakobsweg.

Nach mehr als 36 km komme ich nach Le Côte-Saint-Andrè.

Hier hat Héctor Berlioz gelebt und gearbeitet. Ihm sind das Museum und ein jährliches Musikfestival gewidmet.

An der Kirche endet die Etappe.

Ich habe im Hotel d’Europe Quartier bekommen, das seine besseren Zeiten hinter sich hat. Das Zimmer ist sauber, das Essen überreichlich. Die Männer, die sich bei meinem Eintreffen am Nachmittag gerade noch an der Theke halten können, sind am Abend immer noch da. Ja, der Absinth…

Tagesstrecke: 36,3 km

Corr

6. Tag Sonntag, 7.Mai 2017 Saint-Genix-sur-Guiers nach Valencogne 

Vorerst einen kurzen Nachtrag zum gestrigen Tag, für den Regen mit Chance auf Sonne angesagt war. Am Abend hat die Sonne kurz ihre Aufwartung gemacht.

In der Nacht ging mehrmals kräftiger Regen nieder, was sich in einem Ferienhäuschen noch stärker anhört. Zum Frühstück, das für Franzosen sehr umfangreich war, war es wieder trocken.

Der Campingplatz wird von einem holländischen Paar betrieben. Daher sind seine Landsleute seine Hauptkundschaft.

Mein erster Weg führt mich in das Ortszentrum, das am Sonntag natürlich sehr ruhig ist, obwohl die Lebensmittelgeschäfte offen haben. Dort erstehe ich ein Stück der lokalen Spezialität „Gâteau de Saint-Genix“, ein Kuchen, in den rote Pralinen eingearbeitet sind. Das Belegexemplar hat den Fototermin nicht mehr erlebt.

Obwohl Sonntag ist, ist die Kirche verschlossen.

Der Regen der letzten Tage hat dem Guiers viel Wasser gebracht.

Die nächsten Kilometer gehe ich entlang des kanalähnlichen Guiers, der gleich bei Saint-Genix in die Rhône mündet.

Die Autobahn A43 überquere ich bei Romagnie.

Der Regen in der Nacht hat diesem Baum schwer zugesetzt. Das hat einen Autofahrer nicht gehindert, links über die Böschung zu fahren.

Neben der Straße finden sich immer wieder florale Überraschungen.

Diese Wiese ist eine Farbenpracht.

Die Landschaft erinnert an die Oststeiermark und ist landwirtschaftlich geprägt.


Die Gebäude sind oft mit einem Lehmverputz versehen, was auch an diesem renovierten Haus praktiziert wird.

An den Bächen habe ich einige Waschplätze (?) gesehen.

Anstelle der offiziellen Schilder gibt es immer liebevoll angefertigte individuelle Wegweiser.

In Les Abrets erlebe ich richtig viel Verkehr. Während ich in einem Restaurant mit Salat und Getränk für mein isotonisches Gleichgewicht sorge, geht draußen ein Regenguss runter. Kaum habe ich mich danach in Regenhose und Regencape gekämpft, hört der Regen wieder auf. Meine Versuche, in Le Pine eine Unterkunft zu finden, schlagen fehl.

Ich wandere über Feldwege und kaum befahrene Straßen. Manches Mal sind sie so steil, dass ich ordentlich ins Schnaufen komme.

Wenn man langsam geht, sieht man dafür mehr.

Am Wegrand erinnert dieses ansprechende Denkmal an den Jakobsweg.

Auf der Suche nach einer Unterkunft werde ich in Valencogne fündig.

Der Ort hat eine markante Kirche, die sich als Sammelpunkt für Caminodevotionalien erweist.

Meine Unterkunft in einem umgebauten Wirtschaftsgebäude ist sehr nett und gepflegt.

Als die Hausfrau zum Abendessen nur einen Salat bringt, bin ich leicht enttäuscht.

Doch dann gibt es noch Rindfleisch mit Gemüse und Pilzen und ein Gratin. Den Abschluss bilden drei gute Käsestücke. Der Rose ist zwar nicht aus der Gegend, schmeckt aber sehr gut.

Dann reserviert mir meine Hausfrau noch das Quartier für den nächsten Tag.

Der Abend ist der Entscheidung in der französischen Präsidentenwahl gewidmet. Es gibt nur wenige Plakate, meist eines für jeden Kandidaten in A2 – Größe bei den Gemeindeämtern.

Als das erste Ergebnis um 8 Uhr bekannt gegeben wird, stürmt meine Hausfrau herein: Sixty-five percent, sixty-five percent!“ und ist sichtbar erleichtert und happy.

Ein denkwürdiger Tag geht zu Ende.

Tagesstrecke:  21,6 km

5. Tag Samstag, 6. Mai 2017 Yenne nach Saint-Genix-sur-Guiers

Der Wetterbericht löst Diskussionen aus. Um 11 Uhr soll der Regen kommen. Originalroute oder Alternativroute? Aber dazu später.

An einem Tisch treffen sich heute Wanderpilger aus USA, Schweiz, Deutschland und Österreich. Dazu kommen zwei Radpilger aus der Weststeiermark.

Gegen viertel neun breche ich auf und wähle wegen des vorerst schönen Wetters die Originalroute wie vor mir Gertrud aus der Schweiz und Paul aus Kalifornien.

Am Eingang in die Rhôneschlucht führt eine interessante Brücke über den Fluss. Unser Weg geht aber gleich auf den Berg.

Ein letzter Blick auf Yenne zeigt wie klein der Ort eigentlich ist.

Über der Stadt thront eine Marienstatue mit Kapelle, die in den 1860er-Jahren im Zuge der Katholisierung des Landes errichtet wurde.

Von der Stadt aus sind mir große braune Flecken am Berg aufgefallen. Was ich von weitem für Brandschäden hielt, entpuppt sich als Fraßschaden der Buchsbaumminiermotte, die auch bei uns Verbreitung findet. Kein einziger der Buchsbaum-Sträucher, die hier ganze Flächen bedecken, treibt aus.

Auf dem Weg, den wir zu gehen haben, hängen tausende von Raupen von den Bäumen. Wo vor wenigen Minuten ein Wanderer die Raupen entfernt hat, sind sofort neu da, die die Chance, vertragen zu werden, nutzen.

Ich nutze noch die letzten Minuten vor dem Regen, um in die Rhôneschlucht und die Landschaft zu schauen.

Aus einem Kloster hat sich die wehrhafte Anlage Pierre Châtel an der Grenze Savoyens entwickelt.

Das alte Steinkreuz hoch über dem Tal war einst ein Wallfahrtsziel. Es soll um die 700 kg wiegen.

Dann kommt der versprochene Regen und wird uns bis an unser Ziel begleiten.  Da hilft nur gute Kleidung und Ruhe.

Unser Weg führt uns auf über 800 m hinauf. Hätten wir die Alternativroute genommen, hätten wir uns keine Höhenmeter erspart, uns aber um die schöne Aussicht gebracht.

Der Abstieg auf ungefähr 210 m Seehöhe ist glücklicherweise nicht so schwierig wie der Aufstieg. Ein Pilgerfreund hat in seiner Scheune eine Labestation eingerichtet. Von Kaffee, Bier Wasser, alles ist gegen Einwurf von Münzen zum Selbstkostenpreis zu haben.

Nach etwas mehr als sieben Stunden erreichen wir unser Ziel und finden in einem geräumigen Bungalow eine trockene Bleibe.

Ein Höhepunkt des Tages: Ich habe meine ersten reifen Walderdbeeren gefunden und gegessen. Einfach köstlich…

Tagesstrecke: 25 km

Corr

4.Tag Freitag, 5. Mai 2017 Chanaz nach Yenne 

Nach der gestrigen Gewalttour war ich mir nicht ganz sicher, wie es mir heute gehen wird. Nach einem guten Frühstück mit einem kanadischen Paar und zwei deutschen Pilgerinnen mache ich mich nach halb neun auf den Weg. Heute sollte ja eine kleinere Strecke auf dem Programm stehen.

Die schönen Wege und das herrlichen Wetter lassen mich das Wandern genießen. Immer wieder habe ich gute Ausblicke ins Rhônetal.

Hier gibt es noch Wiesen mit verschiedenen Blütenpfanzen, nicht nur Saatguteinerlei.

Der Weg führt auf über 400 m in die Weinberge der Hautevin – Region von Jongieux. Hier wird ähnlich wie in der Südsteiermark auf steilen Hängen vorwiegend händisch produziert.

In einem kleinen Waldstück hat das Mikroklima etwas verrückt gespielt. Plötzlich sind alle Bäume vermoost wie in einem Regenwald.

 

Der Pilger  bekommt Gesellschaft!

Von einer steilen Felsenklippe hat man einen grandiosen Ausblick.

Der Weg zum Fluss ist steil und beschwerlich. Da sind die Wanderstöcke Goldes wert.

Der Blick zurück lässt staunen. Vor Kurzem war ich noch dort oben.

Ein beschaulicher Weg entlang des Flusses führt an Auwäldern und Feldern vorbei.

In Yenne angekommen, mache ich mich auf die Suche nach der Unterkunft im ehemaligen Kapuzinerkloster.

Heute ist im längst aufgelassenen Kloster ein Bildungshaus untergebracht.

Beim anschließenden Ortsrundgang entdecke ich einiges Interessante wie die Wasserversorgung aus dem Mittelalter, errichtet durch die Mönche.

Die Kirche hat einige Bauteile aus dem 12. Jhdt.

In der Stadt treffe ich wieder die beiden deutschen Frauen, die Kanadier und zwei weststeirische Radpilger, die die Strecke von zu Hause bis Santiago durchfahren möchten.

Das sind die schönen Seiten des Pilgerns.

Tagesstrecke: 17,5 km

Corr

3. Tag Donnerstag, 4. Mai 2017 Chaumont nach Chanaz  

Leider wird nichts aus dem Blick auf den Sonnenaufgang über dem Montblanc. Es wäre ja eine würdige Begrüßung des Tages gewesen. So aber fallen die letzten Tropfen des zeitweise kräftigen Regens der Nacht. Man kann nicht alles haben!

Dafür entschädigt uns ein liebevoll zubereitetes Frühstück. Ich will heute allein weitergehen. Werner tut sich am Berg doch etwas schwerer und ich will heute etwas weiter kommen. So genieße ich die nebelverhangene Umgebung und freue mich über die kleinen Schönheiten.

Ein Schloss, dass von der Nähe schon etwas renovierungsbedürftig aussieht, steht über dem Tal von Les Usses.

Es geht durch schöne Waldwege immer bergab bis plötzlich Frangy auftaucht.

Der Ort hat außer der Fassadenbemalung nicht sehr viel Charme. Die in allen Führern als besonders beschriebene Brücke ist so verwachsen, dass man sie von keiner Seite fotografieren kann.

Gleich geht es hügelan weiter. Der Ausblick muss  bei Schönwetter wirklich großartig sein. Aber auch die Nebelschwaden verzaubern die Landschaft.

Bärlauch wächst in Hülle und Fülle und legt eine intensive Duftnote über die Landschaft.

Hier und da gibt es auch eine Bärlauchhimmelleiter.

Ich folge der Markierung des Jakobswegs, obwohl meine Route auf dem Navi eine andere ist. Ich will sichergehen, dass ich nicht auf einem alten Weg lande.

Die Häuser sind überwiegend aus Stein errichtet. Der Verkehr auf den Verbindungsstraßen zwischen den Dörfern ist fast nicht vorhanden.

In Desingy hoffe ich vergeblich auf ein Café oder eine Bar. Die Kirche und ein altes burgähnliches Gebäude erwecken mein Interesse.

Der lange Abstieg über Les Côtes nach Seyssel gibt schöne Ausblicke auf das Rhônetal frei. Seyssel ist mein nächstes Ziel.

Bei einem Straßencafe treffe ich wieder auf die vier Vorarlberger von Genf, von denen einer ein Brite ist. Nach einem gemeinsamen Bierchen mache ich eine kurze Stadtbesichtigung.

Die Kirche hinter den kleinen Gässchen ist eher enttäuschend für einen so wichtigen Ort.

Die alte Brücke ist von ihrer Anlage her wirklich schön. Sie hat von jeher Reichtum in die Stadt gebracht, auch weil sie zwischen zwei Provinzen steht.

Es ist erst Mittag und ich versuche ein Quartier in den nächsten Orten zu bekommen. Mir bleibt die Wahl zwischen Pest und Cholera. Entweder wieder über die Berge gehen und auf ein Quartier zu hoffen oder im Tal weiterzugehen.

An der Rhône entlang gehen wunderbare Wege, die meisten geschottert oder Waldwege, manche sind auch als Radwege asphaltiert.

Gleich nach Seyssel führt eine neuere Straßenbrücke den Verkehr über die Rhône, später eine Eisenbahnbrücke.

Nach einem nunmehr sehr anstrengenden Tag kommt Chanaz in Sicht.

Chanaz liegt an einem Kanal, der den Lac de Bourget mit der Rhône verbindet.

Am Abend nach einer elendslangen Wanderung droht Strafverschärfung:

Die Lage ist traumhaft schön und um diese Zeit noch sehr ruhig. Nur ein  Restaurant hat am Abend offen.

Ich finde rasch meine Herberge und habe gerade noch Zeit zur Erfrischung vor dem Abendessen.

Fazit des Tages: Manchmal stellt man auch ungewollt persönliche Rekorde auf.

Tagesstrecke: 39,5 km

Corr