Heute habe ich einen eher unfreiwilligen Ruhetag eingelegt. Ein akuter Schnupfen und eine Halsentzündung haben die Vernunft bestärkt und mich in Figeac bleiben lassen. In der Herberge war das kein Problem, und ich habe den Tag schön langsam angehen lassen. Gegen Mittag bin ich dann auf einen Stadtbummel und ein Mittagessen in die Altstadt gegangen. Das Zentrum besteht aus vielen alten Gebäuden, engen Gässchen und kleinen und größeren Plätzen. Jean-François Champollion, der den Stein von Rosette und damit Schriften des Altertums entschlüsselte, stammt von hier. Ihm zu Ehren wurde das Musée Champollion errichtet, ein modernes, dezentes Gebäude hinter einer alten Fassade. Am Place de Écritures kann man den Stein von Rossette buchstäblich ergehen. Ein amerikanischer Künstler hat ihn übergroß nachgebildet. In der großen Markthalle kann man sich aus den umliegenden Lokalen bewirten lassen. Im ehemaligen Stadthaus, dem Hôtel de la Monnaie, ist heute das Tourismusbüro. Die Église Saint-Sauveur war Teil der ehemaligen Benediktinerabtei. Schließlich schlendere ich noch entlang der Célé. In einer Bäckerei entdecke ich ein riesenhaftes Brot. Je näher man der Oberstadt kommt, desto enger werden die Gässchen. Von der Église Notre-Dame-du-Puy habe ich eine schöne Aussicht auf die Stadt. Das Innere der Kirche beeindruckt durch seine Nussbaumschnitzereien und dem Altar der Himmelfahrt Mariä. Auch der Pilgerpatron Jakobus darf nicht fehlen. Schließlich ist es Zeit, dass ich mir ein Mittagessen gönne. Da habe ich freie Menüwahl, da ich die meisten Speisenbezeichnungen nicht kenne und mich auf mein Gefühl und die Nachbartische verlasse. So beginne ich mit einem gemischten Salat mit gerösteten Getreidekörnern und pikantem Dressing. Danach folgt geschmortes Fleisch vom Stier (nicht von dem aus dem gestrigen Bericht!) mit Gemüse, Kartoffeln und einem Käsepüree. Vor dem Dessert, einem Karamelleis, bekomme ich noch köstlichen Ziegenkäse aus der Region. Ein Gläschen Rotwein rundet das Festmahl ab. Auf dem Rückweg zur Herberge sind die Straßen so leer, wie sie nach Mitternacht nicht sein könnten. So hoffe ich, dass der Ruhetag seine erwartete Wirkung nicht verfehlt und ich morgen meinen Weg in Richtung Süden fortsetzen kann.
Archiv für den Monat: September 2017
5. Tag Samstag, 9. September 2017 Livinhac-le-Haut nach Figeac
Die Wettervorhersage hat es wieder geschafft: Pünktlich um halb sechs beginnt es wie aus Kübeln zu regnen. Eine Front zieht über Südfrankreich. Da dieser Zustand bis zum frühen Vormittag anhalten soll, lasse ich mir Zeit. Kurz vor halb neun verlasse ich in voller Regenmontur bei leichtem Regen die Herberge. Nach 300 m kann ich das Regencape weggeben, weil es nicht einmal mehr nieselt. Es bleibt tagsüber lange Zeit trocken, es kommt sogar die Sonne zwischen den Wolken hervor. Erst in der letzten halben Stunde gibt es zwischendurch Nieseln. Gemessen an der Vorhersage ein guter Tag. Heute geht es quer durch die Natur. Kein einziger größerer Ort liegt am Weg. Diese Mauern haben sicher viel zu erzählen. Aber vielleicht braucht noch jemand die alten Bruchsteine, um ein anderes Haus zu restaurieren. Dieser Bulle gibt sicher gute Steaks, so wie der im Futter steht. Die Quitten sind garantiert „bio“. Spritzmittel haben sie sicher nicht gesehen. Ein Mispelbaum ist voll mit Früchten, auch wenn sie vergleichsweise klein sind. Eine Gallwespe hat sich eine wilde Rose als Quartier ausgesucht. Die Wege sind trotz des Regens in der Früh recht gut zu gehen. Es sind zwar viele Pilger unterwegs, aber man kann gut allein gehen oder sich jemandem anschließen. Die netten Australier sind immer wieder in meiner Umgebung. Sonst sind nur Franzosen unterwegs, was die Kommunikation etwas erschwert. Eine bedrohliche Wolke ohne Auswirkung auf uns. Die Schwalben sammeln sich. Für unsere Verhältnisse spät, aber die hier haben es ja nicht so weit bis Afrika. In Saint-Félix kommen wir zur L’église romane Sainte-Radegonde mit einem Tympanon aus dem 11. Jahrhundert. Adam und Eva könnten auch von einem modernen Künstler dargestellt sein. Im Mai 1944 wütete hier eine SS-Gruppe fürchterlich, nachdem sie Spuren der Résistance entdeckt hatten. Mehrere Männer wurden sofort erschossen, auf eine Frau mit Kindern wurde mit einer 120 mm Haubitze geschossen, andere Männer wurden verhaftet und später hingerichtet.
Ich wandere mit einer etwa gleichaltrigen Französin, die obwohl fast einen Kopf kleiner, ein auch für mich unheimliches Tempo geht oder besser läuft. Plötzlich sehen wir keine Markierung mehr, obwohl wir genau aufpassen. Da ist das GPS-System von Vorteil. Wir können den Weg weitergehen und kommen gut nach Figeac. Bald finden wir ältere Wegmarkierungen. Der Weg ist also nur verlegt worden. Unserer war kürzer. Außerdem hätten wir nicht das tolle Steinhäusern entdeckt. In Figeac finde ich, dank unserer Streckenalternative, schnell meine Herberge. Über die Stadt berichte ich dann morgen. Tagesstrecke: 22,9 km
4. Tag Freitag, 8. September 2017 Conques nach Livinhac-le-Haut
Conques ist eigentlich ein kleines Dorf mit etwa 250 Einwohnern. Es gibt kein (!) Lebensmittelgeschäft, eine Bäckerei und einige Restaurants für die Touristen und Pilger. Außerhalb des Tourismus dort zu leben ist sicher nicht einfach – vor allen für Ältere. Wenn die Touristen weg sind, ist es sehr ruhig. Die Nacht war auch im Schlafsaal erträglich und beim Frühstück treffe ich Christoph, einen pensionierten Polizisten aus Südfrankreich wieder. Er ist ein schneller Geher, zu schnell für mich. Beim Mittagessen sitzen wir wieder zusammen. Gleich nach dem Start geht es über die alte romanische Brücke über den Bach. Danach kommt, so wie es sein muss, die erste Bergwertung des Tages: steil und lang. Dafür werde ich mit dem schönsten Ausblick auf Conques belohnt. Auf dem Hochplateau lässt es sich herrlich wandern. Es geht leicht auf und ab und der bedeckte Himmel ist zwar nicht so gut zum Fotografieren, aber umso angenehmer zum Gehen. Ein Kunstprojekt? Mitten in einem großen Feld. Die Kastanienbäume sind derzeit voll mit ihren stacheligen Früchten. Im kleinen Dorf Noalhac mache ich kurze Pause. Hier gibt es sogar ein Café und einen kleinen Laden. Im extra stehenden Backofen ist ordentlich eingeheizt. Die nächste Partie Brot wartet. Ich bekomme von einer Pilgerin eine Kostprobe köstlichen Mischbrotes mit Sesam und Mohn, das sie dort zuvor erstanden hat. Auf fast 620 m steht die Rochuskapelle. Rochus ist als Pestheiliger und Pilger viel verbreiteter als Jakobus. Trotz der Wolkendecke habe ich einen weiten Blick in die Landschaft. Die Wege sind hauptsächlich ohne Asphalt, meistens als ein schöner Schotterstreifen, abgesetzt von der Straße angelegt. Die seltenen Fahrzeuge sind eher eine Abwechslung als eine Störung. Ein erster Blick auf Livinhac-le-Haut. Wieder eines der schön renovierten Bauernhäuser, die heute reine Wohnhäuser sind. In Decazeville gönne ich mir eine halbe Pizza. Ein Viertel hätte es auch getan. Die Stadt hatte ihre Blüte durch Kohlebergwerke und Stahlwerke. Nach dem Schließen der letzten Kohlengrube 2001 brachen harte Zeiten für die 6000 Einwohner zählende Stadt an. Nach dem Mittagessen steht die nächste Bergwertung an. Über einen Hügel geht es wieder in das Tal des Lot.
Der kleine Ort Livinhac-le-Haut, in einer Schleife des Lot gelegen, ist das heutige Etappenziel.
Tagesstrecke: 24,7 km
3. Tag Donnerstag, 7. September 2017 Sénergues nach Conques
Nach dem gestrigen Abendessen bin ich froh, dass ich den Wecker eingeschaltet habe. So werde ich rechtzeitig geweckt, um zum Frühstück zu kommen. Die Stimmung am Morgen ist traumhaft. Ich gehe mit Michel und Jean Pierre, zwei Franzosen, die mich ein Stück des Weges begleiten. Michel spricht außerdem Englisch und war beruflich schon mehrfach in der Steiermark. Die Wege sind vorerst gut zu gehen. Es ist angenehm kühl und trocken. Erst kurz vor dem Ziel wird es ein bisschen „abschüssig“. Wir haben es Gott sei Dank trocken. Dann stehe ich vor Conques.
Viele Tausend Pilger haben hier auf ihrem Weg nach Santiago Rast gemacht.
Die romanische Klosterkirche Sainte-Foy wurde zu Beginn des 12. Jahrhunderts fertiggestellt. Besonders bekannt ist das Tympanon, das vor 1130 fertiggestellt wurde. Es stellt das Jüngste Gericht dar und sollte die Menschen wohl zu größerer Spendenfreudigkeit animieren.
Das Innere ist sehr schlicht gehalten. Durch die Französische Revolution wurde der Bau stark in Mitleidenschaft gezogen und sollte im 19. Jhdt. sogar geschliffen werden.
In der Apsis schwebt die Reliquie der Sainte-Foy, eine junge Märtyrin, die 303 enthauptet und am Rost verbrannt wurde.
Die Reliquienbüste ist in der Schatzkammer zu bewundern. Auch die übrigen Kunstwerke aus dem 11. – 13. Jhdt. sind sehenswert.
Ich wohne gleich hinter der Kirche in einer großen Herberge.
Für die späten Gäste gibt es Alternativen.
Ich mache noch einen Abstecher zur Pilgerbrücke über den Dourdou.
Tagesstrecke: 9,3 km
2. Tag Mittwoch, 6. September 2017 Estaing nach Sénergues
Eine Nacht mit direktem Blick auf die Burg von Estaing vergeht rasch. Der ehemalige französische President Valéry Giscard d’Estaing hat hier seine Wurzeln.
Bei kaum merkbar Nieseln und angenehmen Temperaturen wandere ich entlang des Lot.
Bald hole ich Julius aus Regensburg ein, mit dem ich heute eine weite Strecke gemeinsam gehe. Er ist seit Le Puy-en-Velay auf seinem ersten Camino unterwegs. Bald lösen sich die Wolken auf und geben ein weite Sicht über die Hügellandschaft frei.
Wir kommen an einer Baustelle vorbei, wo gerade eine alters Haus, besser eine Ruine renoviert wird. Alt und neu werden hier gut sichtbar.
Immer wieder kommen wir an entzückenden Häuschen vorbei. Dieses ist sogar bewohnt.
Vor Golinhac breitet sich die Landschaft weit aus. Wir wollen hier Essen, sind aber eine halbe Stunde zu früh dran und die ich muss mich mit einem kleinen Bier und der Aussicht begnügen.
In der Kirche steht ein altes Pilgerkreuz aus Stein.
An den Straßenrändern sind die Pilgerwege sichtbar abgegrenzt.
Die Familie Pot de Fleur grüßt und gibt gleich die Entfernung zum nächsten Dorf an. Julius hat unterwegs eine Gîte gefunden und ich gehe allein weiter.
Espayrac ist ein verschlafenes Dorf mit schönen Steinhäusern.
Die Häuser aus Granit scheinen für die Ewigkeit gemacht zu sein und für Autos ist immer noch Platz.
Die Idylle am Wasser lädt zum Verweilen ein, geht es doch gleich wieder bergauf.
Die Bauernhöfe wirken manchmal wie kleine Burgen. Viele dürften aber nicht mehr als solche Verwendung finden.
Kürbise einmal in orange und nicht in gelb-grün wie in der Steiermark.
Das Jungvieh wollte auch aufs Bild und hat sich brav angestellt.
Auf dem Hügel empfängt mich Sénergues
Die Kirche St. Martin wird bereits 819 erwähnt.
Die Burg und der Tour de Montarnal dominieren das Ortsbild. Sie stammen aus dem 14. und 13. Jhdt.
Als Aperitif beim Abendessen bekommen wir Ratafia gereicht. Das ist Traubensaft, der mit 45%-igem Alkohol vermengt wird.
Nach einem viergängen Menü werden wir Zeugen vom Aufblühen einer Pflanze, die nur eine Nacht blüht.
Tagesstrecke: 25 km
1. Tag Dienstag, 5. September 2017 Espalion nach Estaing
Da stehe ich wieder an der Brücke über den Lot in Espalion. Ich suche für meinen Pilgerpass einen Stempel, aber um die Mittagszeit hat auch das Fremdenverkehrsamt geschlossen. So finde ich nur eine Käsehändlerin, die mir aushilft.
Nach kurzer Vorbereitung mache ich mich auf den Weg.
Vorerst ist es sonnig und warm und geht eher flach dahin.
Hier ist alles auf Jakobsweg getrimmt. Sogar die neue Unterführung wurde mit einer Muschel verziert.
Bald komme ich zu einer sehr alten, romanischen Kirche, versteckt in einem kleinen Tal.
Ihre Besonderheit ist eine Oberkirche im Turmbereich, die mit hervorragende Steinarbeiten aufwarten kann.
Gleich danach kommt die erste Bergwertung. Was anfangs recht einfach aussieht, wird später zu einem ausgewaschenen Steig mit hohen Stufen. Gut, dass es jetzt trocken ist.
Auch hier ist der Buchsbaum den Schädlingen zum Opfer gefallen.
Wo es der Boden zulässt, wird er landwirtschaftlich genutzt.
In Verrières sind viele Gebäude hervorragend restauriert und stehen unter Schutz.
Hinter den Bäumen lugt immer wieder die Burg von Estaing durch. Erst kurz vor dem Ort sieht man das mittelalterliche Ensemble.
Die Brücke war immer ein wichtiger Teil der Stadt.
Der Ort, der auch den Titel „schönstes Dorf“ tragen darf, zeigt sich sehr gepflegt.
Meine Herberge liegt direkt an der kleinen Hauptstraße. Noch sind viele Pilger unterwegs. Das soll sich ab Conques ändern.
Tagesstrecke: 13 km
Anreise Toulouse – Rodez – Espalion 5. September 2017
Die Nacht verbringe ich wieder in der Petite Auberge de Saint Sernin unweit der Basilika St. Sernin. Die Nachtruhe wird zwar wegen des Lärms von der Straße gestört, ich stehe aber gut erholt gleich nach 6 Uhr auf.
Auf dem Weg zum Bahnhof komme ich an der Basilika vorbei.
Das Bahnticket am Schalter ist wieder sensationell günstig. Nur 7,50 Euro gegenüber den Internetangeboten von 27 Euro. Unterwegs erlebe ich einen schönen Sonnenaufgang.
Leider muss der Zug immer wieder auf Gegenzüge warten, sodass wir mit mehr als eine halben Stunde Verspätung in Rodez ankommen.
Die Altstadt von Rodez liegt auf einem Hügel.
Mit dem Taxi fahre ich dann zur Kathedrale.
Das Innere der in der Spätgotik vollendeten Kirche ist eher schlicht. Die neuen Glasfenster zaubern eine geheimnisvolle Stimmung in den Raum.
Mit einem Schulbus nur für mich alleine fahre ich dann von Rodez nach Espalion. Der nette Fahrer ist dann gleich zehn Minuten schneller am Ziel. Dort wo ich im Mai in den Bus gestiegen bin, steige ich heute aus.
Das neue Abenteuer kann beginnen.
Wieder auf dem Weg 4. September 2017 Graz – Frankfurt – Toulouse
Ich bin wieder unterwegs, um meinen Jakobsweg fortzusetzen. Etwa 580 km fehlen mir noch bis Saint-Jean-Pied-de-Port und ein paar Kilometer bis zum Atlantik.
Heidrun hat mich zum Grazer Flughafen gebracht. Dort checke ich nach Frankfurt ein.
Mein Vogel ist schon startbereit und wir heben pünktlich ab.
In der Weststeiermark kreuzen wir zum ersten Mal den Jakobsweg über Voitsberg / Bärnbach.
Die letzte Störungsfront hat die Gipfel der Ostalpen in eine bezaubernde Schneelandschaft verwandelt. Der Dachstein und das Tote Gebirge liegen unter uns.
Wir landen planmäßig in Frankfurt.
Ich habe ausgiebig Zeit, den Flughafen zu erkunden.
Mir bleiben vier Stunden am Airport, bevor der Anschlussflug startet.
Leider ist das nicht unser Flugzeug, obwohl unser Gate direkt daneben ist. Ein A380 wäre auch ganz nett gewesen.
Kurz vor Genf reißen die Wolken auf und ich kann meine Pilgerroute von 2016 und 2017 mitverfolgen.
Le Puy-en-Velay liegt zwar unter einer Wolkendecke, aber die Aubrac schaut wieder zu mir herauf.
Schließlich komme ich in Toulouse an, wo ich mich ja schon auskenne.
Obwohl es schon halb neun ist, ist es noch hell. Ich genieße den lauen Abend vor einem arabischen Lokal.
Es muss nicht immer Kebab sein, Lamm tut es auch.