Die Wettervorhersage hat es wieder geschafft: Pünktlich um halb sechs beginnt es wie aus Kübeln zu regnen. Eine Front zieht über Südfrankreich. Da dieser Zustand bis zum frühen Vormittag anhalten soll, lasse ich mir Zeit. Kurz vor halb neun verlasse ich in voller Regenmontur bei leichtem Regen die Herberge. Nach 300 m kann ich das Regencape weggeben, weil es nicht einmal mehr nieselt. Es bleibt tagsüber lange Zeit trocken, es kommt sogar die Sonne zwischen den Wolken hervor. Erst in der letzten halben Stunde gibt es zwischendurch Nieseln. Gemessen an der Vorhersage ein guter Tag. Heute geht es quer durch die Natur. Kein einziger größerer Ort liegt am Weg. Diese Mauern haben sicher viel zu erzählen. Aber vielleicht braucht noch jemand die alten Bruchsteine, um ein anderes Haus zu restaurieren. Dieser Bulle gibt sicher gute Steaks, so wie der im Futter steht. Die Quitten sind garantiert „bio“. Spritzmittel haben sie sicher nicht gesehen. Ein Mispelbaum ist voll mit Früchten, auch wenn sie vergleichsweise klein sind. Eine Gallwespe hat sich eine wilde Rose als Quartier ausgesucht. Die Wege sind trotz des Regens in der Früh recht gut zu gehen. Es sind zwar viele Pilger unterwegs, aber man kann gut allein gehen oder sich jemandem anschließen. Die netten Australier sind immer wieder in meiner Umgebung. Sonst sind nur Franzosen unterwegs, was die Kommunikation etwas erschwert. Eine bedrohliche Wolke ohne Auswirkung auf uns. Die Schwalben sammeln sich. Für unsere Verhältnisse spät, aber die hier haben es ja nicht so weit bis Afrika. In Saint-Félix kommen wir zur L’église romane Sainte-Radegonde mit einem Tympanon aus dem 11. Jahrhundert. Adam und Eva könnten auch von einem modernen Künstler dargestellt sein. Im Mai 1944 wütete hier eine SS-Gruppe fürchterlich, nachdem sie Spuren der Résistance entdeckt hatten. Mehrere Männer wurden sofort erschossen, auf eine Frau mit Kindern wurde mit einer 120 mm Haubitze geschossen, andere Männer wurden verhaftet und später hingerichtet.
Ich wandere mit einer etwa gleichaltrigen Französin, die obwohl fast einen Kopf kleiner, ein auch für mich unheimliches Tempo geht oder besser läuft. Plötzlich sehen wir keine Markierung mehr, obwohl wir genau aufpassen. Da ist das GPS-System von Vorteil. Wir können den Weg weitergehen und kommen gut nach Figeac. Bald finden wir ältere Wegmarkierungen. Der Weg ist also nur verlegt worden. Unserer war kürzer. Außerdem hätten wir nicht das tolle Steinhäusern entdeckt. In Figeac finde ich, dank unserer Streckenalternative, schnell meine Herberge. Über die Stadt berichte ich dann morgen. Tagesstrecke: 22,9 km
5. Tag Samstag, 9. September 2017 Livinhac-le-Haut nach Figeac
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